02/07/2024 0 Kommentare
Worte der Weisung aus dem himmlischen Jerusalem
Worte der Weisung aus dem himmlischen Jerusalem
# Theologie

Worte der Weisung aus dem himmlischen Jerusalem
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! AMEN.
Ich könnte jetzt, liebe Gemeinde, die Predigt verlesen, die mir Alexander Benatar geschickt hat, für den ich kurzfristig eingesprungen bin, weil er gestern positiv auf Corona getestet worden ist und niemanden gefährden wollte.
Aber ich habe mich dazu entschlossen, lieber eine eigene Predigt zu schreiben - und die beginnt diesmal mit der Verlesung eines ziemlich langen und nicht leicht verständlichen Bibeltextes. Diesen habe ich nicht etwa ausgesucht, sondern es ist der für diesen zweiten Sonntag nach Epiphanias zur Auslegung empfohlene Abschnitt, und zwar aus dem zwölften Kapitel des sogenannten “Hebräerbriefes”, der jedoch nicht - wie jener an die Galater oder die Epheser - die Empfänger bezeichnet, sondern den jüdisch-christlichen Hintergrund markiert einer Schrift, die auch gar kein Brief ist, sondern die älteste uns überlieferte vollständige christliche Predigt:
12Stärkt eure müden Hände und eure zitternden Knie 13und lenkt eure Schritte entschlossen in die richtige Richtung! Denn die lahm gewordenen Glieder dürfen sich nicht auch noch ausrenken, sondern sollen wieder heil werden.
14Bemüht euch mit ganzer Kraft um Frieden mit jedermann und richtet euch in allem nach Gottes Willen aus! Denn ohne ein geheiligtes Leben wird niemand den Herrn sehen.
15Achtet darauf, dass niemand sich selbst von Gottes Gnade ausschließt! Lasst nicht zu, dass aus einer bitteren Wurzel eine Giftpflanze hervor wächst, die Unheil anrichtet; sonst wird am Ende noch die ganze Gemeinde in Mitleidenschaft gezogen. 16Achtet auch darauf, dass niemand ein unmoralisches Leben führt oder mit heiligen Dingen so geringschätzig umgeht wie Esau, der sein Erstgeburtsrecht für eine einzige Mahlzeit verkaufte. 17Ihr wisst, wie es ihm später erging: Als er den Segen bekommen wollte, der ihm als dem Erstgeborenen zustand, musste er erfahren, dass Gott ihn verworfen hatte. Er fand keine Möglichkeit mehr, das Geschehene rückgängig zu machen, so sehr er sich auch unter Tränen darum bemühte.
18Nun habt ihr Gott ja auf ganz andere Weise kennen gelernt als die Israeliten damals am Sinai.
22Ihr seid zum Berg Zion gekommen, zur Stadt des lebendigen Gottes, zu dem Jerusalem, das im Himmel ist. Ihr seid zu der festlichen Versammlung einer unzählbar großen Schar von Engeln gekommen 23und zu der Gemeinde von Gottes Erstgeborenen, deren Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Ihr seid zu Gott selbst gekommen, dem Richter, vor dem sich alle verantworten müssen, und zu den Gerechten, die bereits vollendet sind und deren Geist bei Gott ist. 24Und ihr seid zu dem Vermittler des neuen Bundes gekommen, zu Jesus, und seid mit seinem Blut besprengt worden – mit dem Blut, das noch viel nachdrücklicher redet als das Blut Abels.
25Hütet euch also davor, den abzuweisen, der zu euch spricht! Schon bei den Israeliten, die Gottes Stimme am Sinai gehört hatten, kam keiner ungestraft davon, der sich seinen Anweisungen widersetzte, und damals war es ein Ort auf der Erde, von dem aus Gott zu ihnen sprach. Zu uns jedoch spricht er vom Himmel her. Wie viel schlimmer wird es uns daher gehen, wenn wir uns von ihm abwenden!
Ich fühle mich ein wenig wie in einer orthodoxen Kirche, liebe Geschwister, wenn ich Worte wie die eben verlesenen höre: Irgendwie entfernt bekannt kommt es mir schon vor, aber es ist doch auch recht fremd.
Da ist beispielsweise von einer Versammlung von Engeln die Rede, und damit gemeint ist die christliche Gemeinde; nicht unser Bild!
Da werden Bezüge zum Ersten Testament aufgerufen, die von Ihnen und Euch vermutlich kaum jemand nachvollziehen kann, vielleicht gerade noch “Esau und das Linsengericht”. Aber weshalb er dieses “heilig” nennt, erschließt sich ohne eingehende Analyse auch mir nicht.
Dass die Gemeinde Jesu Christi mit seinem Blut besprengt sei, das kommt an einigen Stellen im Neuen Testament vor; aber keine andere Schrift ist so strikt orientiert an dem Opferwesen, den es im Ersten Bund gegeben hat, wie eben der Hebräerbrief - und das befremdet uns, die wir zwar noch immer von einem “Altar” sprechen, aber nie und nimmer von einem Tempel, wie es ihn bis zum Jahre 70 nach Christi Geburt in Jerusalem gab, wo tatsächlich Tiere geschlachtet wurden als Zeichen der Reue gegenüber Gott.
Lassen wir also beiseite, was uns eher den Blick verstellt oder viel Zeit benötigte, um verstanden zu werden, und halten uns an das, was unmittelbar anspricht! Das sind einige Aufforderungen.
Es ist ohnehin, wenn wir das zwölfte von dreizehn Kapiteln einer Schrift aufschlagen, ein bisschen so, als käme jemand zwei Minuten vor dem Ende meiner Predigt noch in die Kirche und wundert sich dann, worauf ich mich beziehe, weil er das nicht mitbekommen hat.
Glücklicherweise wiederholt der “Hebräer”, was schon ein paarmal zuvor geschrieben wurde: Die christliche Gemeinde, so schärft er ein, ist privilegiert. Wir sind nicht nur “mit dem Blut besprengt”, also getauft, sondern wir sind in der Stadt des lebendigen Gottes, wir zählen zur Gemeinde von Gottes Erstgeborenen, deren Namen im Himmel aufgeschrieben sind, ja Gott spricht vom Himmel her zu uns.
Eben daraus resultiert eine besondere Verantwortung. Es gilt, sich dieser Würdigung wert zu erweisen. Denn ohne ein geheiligtes Leben wird niemand den Herrn sehen, mahnt der Verfasser unseres Textes.
Modern gesprochen, d.h. “nur” 90 Jahre in die Vergangenheit gegangen zur Barmer Theologischen Erklärung von 1934, klingt das in These 2 dort so:
Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.
Das war damals, unschwer zu erkennen, gegen den alles vereinnahmenden Totalitarismus gesagt und ebenso gegen einen tief eingewurzelten unpolitisch-politischen preußischen Protestantismus, der immer nur danach fragte, wie er einen gnädigen Gott bekommt, und niemals, was der gnädige Gott mit Fug und Recht als Dank dafür erwarten darf.
Man hätte vielleicht öfter mal in die Bibel schauen sollen - und keineswegs nur in die zehn Gebote, von denen man meinte, sie dienten ohnehin nur dazu, uns unsere Unmöglichkeit vor Augen zu führen, sie zu erfüllen, auf dass ein schlechtes Gewissen sich nach Begnadigung sehne, die Gott uns - o Wunder - um Christi willen erweisen wolle, ja längst erwiesen hat.
Wenn Gott uns auf die Beine hilft - das ist wunderbar und täglicher Grund, ihm dankbar zu sein -, dann will er aber auch, dass wir laufen. Ganz zu Beginn unseres Bibelabschnittes hatte es geheißen: Lenkt eure Schritte entschlossen in die richtige Richtung!
Dazu sollen wir die müden Hände und zitternden Knie stärken - und damit sind mit hoher Wahrscheinlichkeit keine physiotherapeutischen Übungen gemeint.
Vielmehr gilt es, sich immer wieder gegenseitig zu befragen und einander zu bezeugen, was trägt, welche Hoffnung uns beflügelt, was uns immer wieder neu Kraft gibt für jenen Weg, der natürlich kein anderer sein kann als der Weg der Nachfolge Jesu Christi.
Ich bin, was das anbelangt, sehr anspruchsvoll: Gut gemeinte Gesten wie Handauflegen oder Kerzenanzünden mögen etwas unterstreichen; aber die eigentliche Kraftquelle ist Gott selbst, ist sein Wort, sind seine Verheißungen.
Richtet euch in allem nach Gottes Willen aus! - so mahnt der Hebräer-Prediger und leitet dies mit dem ganz handfesten Beispiel ein: Bemüht euch mit ganzer Kraft um Frieden mit jedermann!
Also auch mit den Huthi, obwohl die Raketen auf den internationalen Schiffsverkehr abfeuern! Auch mit den.... - wie immer sie heißen mögen.
Aber das Bemühen um Frieden wäre grob missverstanden, wenn er einherginge mit dem Verzicht auf die Durchsetzung internationaler Standards und eigener Werte, so wie das jenen vorzuschweben scheint, die immer lauter nach einer Beendigung des Ukrainekrieges rufen, obwohl es weiterhin erklärtes Kriegsziel Russlands ist, die Ukraine von der Landkarte zu entfernen.
Wenn wir die ethischen Imperative des Hebräers weiter durchgehen, kommen wir bald zu der Mahnung, darauf zu achten, dass niemand ein unmoralisches Leben führt - und wir fühlen uns unangenehm an die nicht-enden-wollende Debatte innerhalb der katholischen Kirche erinnert, wobei unangenehm daran vor allem die Ineinssetzung von “unmoralisch” mit “sexuell freizügig” ist oder auch nur von dem abweichend, was als heteronormatives Verhalten gilt.
Weitaus empörender ist es aus meiner Sicht, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es weder moralische noch juristische Grenzen für die Anhäufung von Reichtum gibt und immer noch gilt, was einst Brecht im Dreigroschenroman festhielt: “Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?” Nun, die Schlauen gründen eine Bank, lassen sich sogar noch vom Staat unterstützen, die ohnehin Minderprivilegierten lassen sich fast immer schnappen und werden bestraft, wenn sie sich holen wollen, was ihnen vorenthalten wird.
Wenn wir “unmoralisch” also bitte aus dem rein privatethischen Bereich herausnehmen und gesellschaftlich verstehen, dann bin ich ganz bei dem Hebräer, dann müsste das noch viel lauter und öfter zu hören sein.
Das gilt auch für den Appell, aufeinander zu achten, damit niemand sich selbst von Gottes Gnade ausschließt; wir hingegen nehmen ebenso resigniert wie mittlerweile auch routiniert zur Kenntnis, wer alles aus der Kirche ausgetreten ist.
Eine - und damit komme ich dann auch zum Schluss - letzte Aufforderung, die mir wichtig zu sein scheint, gerade heute: Lasst nicht zu, dass aus einer bitteren Wurzel eine Giftpflanze hervor wächst, die Unheil anrichtet; sonst wird am Ende noch die ganze Gemeinde in Mitleidenschaft gezogen.
Auch dem Wachstum demokratie- und menschenfeindlicher Gruppierungen stehen wir weitgehend rat- und tatenlos gegenüber. Zwar gruselt es uns, wenn wir von Plänen erfahren, Ausländer “re-migrieren” zu lassen und bei der Gelegenheit auch gleich Bürger:innen mit deutschem Pass des Landes zu verweisen, die für Weltoffenheit und Menschenrechte eintreten. Aber es sind doch meist die anderen, die dagegen demonstrieren gehen, wir selbst scheuen uns davor oder sind schlichtweg zu bequem dazu.
Die bittere Wurzel hat schon gekeimt, liebe Schwestern und Brüder, und ehe eine Giftpflanze tatsächlich heranreifen kann, müssen wir uns dem entschieden entgegenstellen, damit nicht noch mehr Unheil angerichtet wird!
Etliche Institutionen sind schon in Mitleidenschaft gezogen. Es geht mittlerweile nicht mehr nur um den Schutz dieser oder jener Minderheit, sondern ums Ganze, um unsere Art und Weise zu leben, um die Anerkenntnis der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen.
Hütet euch also davor, den abzuweisen, der zu euch spricht! Schon bei den Israeliten kam keiner ungestraft davon, der sich seinen Anweisungen widersetzte, und damals war es ein Ort auf der Erde, von dem aus Gott zu ihnen sprach.
Wie viel schlimmer wird es uns daher gehen, wenn wir uns von ihm abwenden!
Denn: Zu uns spricht er vom Himmel her.
Amen.
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