Historisches zur Kirche auf dem Tempelhofer Feld
Die Kirche auf dem Tempelhofer Feld (1927–28) war der erste größere evangelische Kirchenneubau in Berlin nach dem 1. Weltkrieg. Diese „Rundkirche“ mit zwei Anbauten für Vorhalle und Sakristei wurde von Fritz Bräuning (1879–1951), Stadtbaurat von Tempelhof, entworfen. Der Architekt war auch verantwortlich für die städtebauliche Planung der umliegenden, seit 1920 realisierten „Gartenstadt Neu-Tempelhof“. Geplant bereits ab 1910, bietet die Kirche in Stilgebung, mit expressionistischer und klassizistischer Formensprache, als auch im Raumkonzept ein markantes Beispiel für die Reformarchitektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Neben der städtebaulich exponierten Lage am Parkgürtel hat die Kirche zwei Wesensmerkmale, die kunstgeschichtlich bedeutsam sind. Zum einen folgt Bräuning dem so genannten Wiesbadener Programm von 1891, das eine Neuorientierung des protestantischen Sakralbaus formulierte, indem er zum Beispiel in die Achse des Kircheneingangs den Altar und dahinter die erhöhte Kanzel und auf der Empore darüber die Orgel anordnete. Zum anderen steht der Rundbau in der Tradition reformorientierter Zentralbauten des Berliner Südwestens (Königin-Luise-Kirche in Schöneberg, 1910–12, und Johannes-Kirche in Lichterfelde, 1913–14).
Quelle: Kurt Nelius/Immo Wittig, Otto Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau (OBAK)
Die Orgel
Die ev. Kirchengemeinde Neutempelhof entstand 1949 durch Abspaltung von der alten Gesamtgemeinde Tempelhof. Zuallererst wurden die Kriegsschäden am Gebäude der Tempelhofer Rundkirche weitgehend durch Eigenleistung beseitigt, so dass die Kirche schon 1950 wieder in kirchlichem Gebrauch war.
Aus dem Material der im Krieg stark beschädigten großen Sauer-Orgel von 1928 (III/52) wurde zunächst eine 2manualige kleine Multiplex –Orgel errichtet: auf der hinteren Empore!
Von Februar bis Oktober 1955 berät die Gemeindeleitung die Anschaffung einer großen ‚Elektronen-Orgel‘ bzw. den Wiederaufbau der alten Orgel oder evtl. einen Orgel-Neubau. Da romantische Orgel aus der Zeit vor der Orgelbewegung in den Nachkriegsjahren nicht begehrt waren, wird der Auftrag eines Orgel-Neubaus am 28.10.55 an Orgelbau Karl Schuke (Berlin-Zehlendorf) erteilt (1. Bauabschnitt: 24 Register auf 2 Werken/Pedal).
Im Frühjahr 1957 entsteht eine Hausmeisterwohnung aus der alten Sakristei, wobei zugleich der alte Orgelstandort oben hinter der Kanzel vorbereitet und die alte Orgelstube dabei als neuer Musikraum gewonnen wird.
Zum 4. Advent 1957 erklingt die neue Orgel mit 24 Registern (II/P, C-g³, a°=446 Hz, gleichschwebende temperiert) in der Rundkirche. Zum Preis von 16.695 DMW konnte die Bitte des amtierenden Kantors Rediske nach einer leichtgängigen Spiel- und Register-Traktur berücksichtigt werden: die ist traditionell mechanisch in Holz gefertigt (op. 51).
Die alte Wind-Anlage (Magazinbalg zum Treten) wurde weiterverwendet, der neue Orgel-Motor nach unten verlegt. Die Prospekt-Pfeifen von Hauptwerk und Pedal waren billige Provisorien aus Weißblech, die in der zweiten Bauphase mit großen Pedal-Turm-Pfeifen alle erneuert werden sollten.
Im Januar 58 wird für die Orgel ein Darlehen der Industriebank über 21.000 DM mit einem Tilgungsplan über 5 Jahre vereinbart. Im Mai folgt ein Orgel-Pflegevertrag mit Orgelbau Karl Schuke.
Im Dezember 1958 erteilt die Gemeinde den Auftrag einer Orgel-Ergänzung um ein 3. Manual (Brustwerk mit 6 Registern). Die Multiplex-Orgel wird an die St. Jacobikirche/Kreuzberg für 1.000 DM verkauft.
Im Januar 1961 wird die Erweiterung der Orgel um Prinzipal 16‘ abgelehnt, weil nach dem Bau eines Gemeindehauses endlich die Neugestaltung des Altarraumes und die Sanierung der Kirche ansteht.
Nach der grundlegenden Kirchen-Sanierung 1990/91 wurde im Frühjahr 1992 die alte Balganlage (Sauer) durch Orgelbaumeister Knaak (jetzt Melle/Osnabrück) behutsam restauriert und als originale Fußtret-Anlage von 1928 erhalten. Mit der Ausreinigung erfolgte die Neuintonation tragender Register durch Orgelbaumeister Immer, Norden (mit * Stern versehen). Durch sie erhält das Instrument – als Kind seiner Zeit mit sehr geringem Winddruck - insgesamt einen wärmeren, großen Klang und - im Plenum gut abgestimmt – mehr farbige Solo-Stimmen.
Die dann aufgelegte wohltemperierte Stimmung „Bach nach Kellner“ trägt zum hörsamen Klang- und Spiel-Erlebnis erheblich bei. Insider halten das Instrument für eine wertvolle Orgel in Berlin.
2016 wird die Orgel durch die Orgelmakereij van der Putten (Wehner/Ostfriesland) mechanisch überholt, wieder ausgereinigt und das Pfeifenwerk durch Anlängen auf 441 Hz tiefer gesetzt, weil Bedarf zur Abstimmung mit dem historischen Bechstein-Flügel besteht.
Eine Schiebekoppel BW-HW bindet jetzt das Brustwerk ins Plenum ein. Die Zungenregister Trompetenregal 8‘ (BW) und Rohrschalmey 8‘ (OW) werden durch Anlängen neuer Schallbecher klanglich zu Krummhorn 8‘ (BW) und Dulcian 8‘ (OW) umgestaltet und neu intoniert. Im Pedal wird Nachthorn 4‘ durch neue Pfeifen zu Oktave 4‘, die Nachthornpfeifen werden auf die 2‘-Lage (statt Rohrpfeife 2‘) versetzt.
Auf Empfehlung der Orgelsachverständigen kann im April 2019 durch finanzielle Unterstützung des Orgel-Fördervereins der Paulus-Kirchengemeinde Tempelhof der Auftrag für die Register Praestant 16‘ und Posaune 16‘ erteilt werden. Orgelbauer Edzard Knoke/Otterndorf baut nach Genehmigung von Denkmalsamt und Landeskirche neue Pedaltürme rechts/links des alten Werkes, die sich klanglich und optisch gut einfügen. Die Orgel wird im Oktober 2019 wiedereingeweiht.
Organistin Karolina Juodelyte präsentiert die Karl-Schuke-Orgel (III/30) von 1957. Sie zeigt den historischen Schöpfbalg, mit dem die Orgel ohne Motorstrom gespielt werden kann und spielt die Fuge E-Dur BWV 566 von Johann Sebastian Bach.
Disposition der Sauer-Orgel von 1928
1. Manual C-c4
Prinzipal 16‘
Prinzipal 8‘
Flut harmonique 8‘
Gedackt 8‘
Gemshorn 8‘
Oktave 4‘
Rohrflöte 4‘
Cymbel 4fach
Cornett 1-5fach
Trompete 8‘
2. Manual C-c4
(16‘ bzw. 8‘ ausgebaut bis c5)
Gedackt 16‘
Flötenprinzipal 8‘
Konzertflöte 8‘
Quintatön 8‘
Viola di Gamba 8‘
Salicional 8‘
Nachthorn 4‘
Geigend Regal 4‘
Quintflöte 22/3‘
Waldflöte 2‘
Terz 13/5‘
Sifflöte 1‘
Mixtur 4-5fach
Krummhorn 8‘
Horn 8‘
3. Manual C-c4
(16‘ bzw. 8‘ ausgebaut bis c5)
Liebl. Gedackt-
Nachthorn 16‘
Hornprinzipal 8‘
Soloflöte 8‘
Violoncello 8‘
Echobourdon 8‘
Aeoline 8‘
Vox Coelestis 8‘
Fugara 4‘
Flauto Dolce 4‘
Piccolo 2‘
Harmonia Aetheria 3fach
Großcymbel 3-7fach
Rankett-Fagott 16
Oboe 8‘
Voxhumana 8‘
Pedal C-f1
Untersatz 32‘
Prinzipalbaß 16‘
Gemshornbaß 16‘
Subbaß 16‘
Liebl. Gedackt 16‘ (Trans)
Oktavbaß 8‘
Baßflöte 8‘
Cello 8‘ (Trans)
Oktave 4‘
Rauschpfeife 4fach
Posaune 16‘
Fagott 16‘ (Trans)
Singend Cornett 2‘
Still Posaune 32‘
3 Werke in der sog. Orgelstube, freier Spieltisch vor der 'Sänger-Empore' elektro-pneumatische Spiel/Register-Traktur mit sub/Superkoppeln, Walze, fr. Komb. „Die Orgel ist in ihrer Disposition eine geschickte Vereinigung eines modernen Orchesterwerks und der historischen Barockorgel, die in der heutigen Orgelbaukunst ihre Wiederentdeckung ('Orgelbewegung?) gefunden hat.“ … aus der Festschrift zu Himmelfahrt 1928.
Disposition der Schuke-Orgel 1957/2019 (32/III/P)
1. Manual C-g3
Oberpositiv
*Gedackt 8‘
*Prinzipal 4‘
Flute douce 4‘
Blockflöte 2‘
Quinte 11/3‘
Sesquialtera 2fach
Scharff 3fach
0Dulcian 8‘
Tremulant
2. Manual C-g3
Hauptwerk
*Quintadena 16‘
*Prinzipal 8‘
*Spitzflöte 8‘
*Oktave 4‘
Rohrflöte 4‘
*Oktave 2‘
Mixtur 4fach
*Trompete 8‘
Mixtur 4fach
Fuß-Koppeln I/P, II/P, I/II
3. Manual C-g3
Brustwerk
Holzgedackt 8‘
Quintadena 4‘
*Prinzipal 2'
Tertian 13/5‘+11/3‘
Cymbel 3fach
0Krummhorn 8‘
Tremulant
*Schiebekoppel III/II
Pedal
C-f1
*Untersatz 16'
*Prinzipal 8‘
Pommer 8‘
0Oktave 4'
0Nachthorn 2'
Hintersatz 4fach
Fagott 16'
*Posaune 8‘
0Praestant 16‘
0Posaune 16‘
mechanische Spiel/Register-Traktur
*nach-intoniert 0nach-intoniert - a1=440Hz, temperiert auf Bach-nach-Kellner
Winddruck P=80mm, HW=65mm, OP/BW=55mm