Geliebt und geheilt - der Bessene von Gadara im Gedicht und im Markusevangelium

Geliebt und geheilt - der Bessene von Gadara im Gedicht und im Markusevangelium

Geliebt und geheilt - der Bessene von Gadara im Gedicht und im Markusevangelium

# Theologie

Geliebt und geheilt - der Bessene von Gadara im Gedicht und im Markusevangelium

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN.

“Alea iacta est” - die Würfel sind gefallen - sagte man im Alten Rom.

Bei mir hingegen ist - wie man zumindest früher sagte - “der Groschen gefallen”, wobei man den Jüngeren erklären muss, dass “Groschen” die Berliner Bezeichnung für ein 10-Pfennig-Stück war, also 1/10 D-Mark, was allerdings während meiner Kindheit den Gegenwert einer Schrippe (Hochdeutsch: Brötchen) darstellte.

Dieser sprichwörtliche Groschen ist bei mir gefallen, als wir uns im vorigen Herbst zum Pfarrkonvent trafen und eine Professorin für Neues Testament uns, die wir schon etwas länger aus der Uni raus und im Pfarramt sind, verschiedene, darunter auch weniger bekannte Auslegungsmethoden vorstellte. Dazu gehört die Interpretation biblischer Texte mit Hilfe von Literatur.

“Aha!”, dachte ich erleichtert: “Das ist genau dein Ding, Bücherwurm! Das beantwortet endlich die Frage, was denn nun eigentlich das Neue sein wird bei unseren künftig anders strukturierten Gottesdiensten.” Nun also gibt es, zumindest wenn die Reihe an mir ist, den Gottesdienst am dritten Sonntag eines Monats zu gestalten, Gottesdienste mit Bezug zur Literatur.

Glücklicherweise bin ich im Internet auf eine Kollegin gestoßen, die das in Hessen schon seit längerem macht und einige Gottesdienstmuster mit Interessierten teilt. Darauf allerdings habe ich heute nicht zurückgegriffen, denn dieses Konzept bezieht sich auf Romane, aus denen im Gottesdienst ausführlich zitiert wird; anstelle einer Predigt gibt es dann Kommentare zu den gehörten Ausschnitten aus dem Buch.

Darauf dürfen Sie sich im nächsten Monat freuen. Heute aber halte mich an genau jenen Text, der mir im Oktober in die Hand fiel, nämlich das eben schon gehörte Gedicht von Erich Fried, das überdies noch den Charme besitzt, den Akzent ganz stark auf die Liebe zu legen, was mir in unserem Themenjahr zur Liebe sehr sympathisch ist und zu passen scheint.

Ich lese das Gedicht noch einmal vor, damit wir seine Eigenheiten besser betrachten können.

[Aus Gründen des Urheber-Rechte-Schutzes wird der Text "Der geheilte Gadarener" hier nicht wiedergegeben.]

Liebe Gemeinde, der Poet scheint, um es mal etwas flapsig auszudrücken, “von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt”. Jedenfalls fokussiert er die Heilung des Besessenen als Akt der Liebe, um dann zu klagen, dass es für eine liebevolle Beziehung zu dem Geheilten nicht reiche.

Kann man machen, klar!

Aber die Frage ist erlaubt: “Wird man damit dem Text gerecht?”

Diese Frage stellen, heißt, sie zu verneinen - wobei ich dem Dichter deswegen keinen Vorwurf mache, zumal er mich ohnehin mit seinem Interesse am Neuen Testament erstaunt angesichts seines säkularen jüdisch-politischen Hintergrundes.

Mit dichterischer Freiheit statt mit wissenschaftlicher Akribie geht Erich Fried an den gezähmten Wilden heran, der seine Dämonen los wurde, weil Jesus eingegriffen und ihn befreit hat.

Der Bericht des Evangelisten Markus legt wert auf Details wie etwa, dass es ein mehrere Wortwechsel umfassendes Gespräch zwischen Jesus und dem Mann - genauer: seinem bösen Geist - gab, in dessen Verlauf der Dämon a) kapituliert, b) seinen Namen preisgibt, c) den Stärkeren bittet, ihn nicht aus der Gegend zu vertreiben, sondern ihm zu gestatten, in die Schweineherde zu fahren.

Für an psychoanlalytischer Bibelauslegung interessierte Menschen öffnet sich hier ein interessantes Fenster: Der Geplagte, den niemand zu bändigen vermochte, scheint an PERSÖNLICHKEITSSPALTUNG zu leiden. Wir nehmen das im Vorübergehen zur Kenntnis, ohne es zu vertiefen.

Was hingegen eine nähere Betrachtung verdient, ist, dass der böse Geist - überraschenderweise, möchte ich sagen - ein Bekenntnis ablegt: »Was willst du von mir, Jesus, Sohn Gottes, des Allerhöchsten? Ich beschwöre dich bei Gott: Quäle mich nicht!«

Gott und Abergott sind in der mythischen Welt der Antike reale Kontrahenten, wobei es niemanden überraschen dürfte, dass die Dämonen chancenlos sind gegenüber Jesus, der hier als derjenige in Erscheinung tritt, dem Gott alle Macht gegeben hat im Himmel und auf Erden.

Das freilich interessiert den Literaten nicht, der “Gott ist die Liebe” vernommen hat und nun die Probe auf Exempel machen möchte: “How deep is your love?”

Liebe, als Geschehen zwischen Menschen, leidet, wenn Gemeinschaft nicht möglich ist - auch wenn es unter uns (gerade hier in der Siedlung) gar nicht wenige Leute gibt, welche die Vorzüge von Fernbeziehungen zu preisen wissen.

Liebe sucht Nähe, will das Einssein mit der geliebten Person. Aber sie darf die oder den anderen nicht für sich vereinnahmen, sonst ist es keine Liebe zum anderen mehr, sondern wird zum selbstsüchtigen Habenwollen. Und so gehört bei einer Trauung zu der entscheidenden Frage als Korrektiv immer auch: “Willst du lieben und achten” - mit anderen Worten: Kannst und willst du Respekt aufbringen vor der Eigenständigkeit des anderen Menschen bei aller noch so verständlichen Sehnsucht nach Vereinigung?

Das lyrische Ich in Frieds Gedicht ist zwar enttäuscht über die erfahrene Zurückweisung, aber dennoch zu uneigennütziger Liebe imstande: “Ich gehe und rufe seine Wunder aus, wie er mir sagte. Ich will ihn lieben, der mich gerettet hat.”

Trotzdem bleibt der innere Zweifel: “Wie ist diese Liebe, die mich allein lässt?”

Diese Liebe ist, so würde der Evangelist womöglich entgegnen, zu groß, um sie nur einem einzigen Menschen zuzuwenden.

Gleichwohl würde er wohl bestreiten, dass Jesus, wie im Gedicht geargwöhnt, die Menschheit nur und nicht die einzelnen Menschen liebt.

Es war nicht allein der Mann aus  Gerasa oder Gadara , dem Jesus nicht gestattete, ihn zu begleiten; er nahm grundsätzlich nur jene mit auf seinen Weg, die er selbst dafür ausgewählt und dazu berufen hatte.

Für unseren Geheilten (und alle, von denen wir sonst im Evangelium erfahren, dass ihnen ein Wunder widerfahren ist) hat er einen anderen Auftrag: »Geh nach Hause zu deinen Angehörigen«, sagte er, »und berichte ihnen, was der Herr für dich getan und wie er sich über dich erbarmt hat!« Da ging der Mann fort und begann im Zehnstädtegebiet zu verkünden, was Jesus für ihn getan hatte. Und alle staunten.

Auf diese Weise hat Jesus nicht nur jene befreit, denen er direkt begegnete auf seinem Weg, sondern ebenso auch alle, die es aufs Hörensagen hin gewagt haben, auf Gott zu vertrauen.

Ich möchte, liebe Gemeinde,  dem drohenden Eindruck begegnen, das Gedicht nur als Negativ-Folie verwenden zu wollen. Ausdrücklich stimme ich Fried zu, wenn es anfangs heißt: Nur in die leeren Höhlen der Ungeliebtheit in mir konnte der Teufel sich setzen.

Damit weist er schon voraus und gibt im Grunde bereits eine Antwort auf die Frage: “Gelten die Menschen ihm gleich, und hasst er nur ihre Teufel?” Das ist nämlich ganz und gar nicht so, sondern weil Gott in Christus die Menschen liebt, überlässt er sie nicht ihren Dämonen.

Allerdings muss eingeräumt werden, dass es dem Evangelisten in erster Linie darauf ankommt, mit seiner Botschaft zu beeindrucken, zu überzeugen, Glauben zu wecken.

Und die Schweine?

Auch Lebenwesen, gewiss!
“Arme Schweine!”, möchte man sagen - nicht nur jene, die heute leiden müssen, weil viele Leute Lust auf Fleisch haben, aber nicht bereit sind, dafür anständig zu bezahlen, dass die Tiere für sie gestorben sind.

Und doch - das hätte auch der nicht religiöse, aber in einer jüdischen Familie aufgewachsene Dichter wissen können und sollen: Schweine haben in Israel nichts zu suchen!

Schweine ernähren uns traditionell, und ebenso haben die römischen Soldaten (vielleicht auch nur die Offiziere) damals Schweinefleisch verzehrt. Aber für Jesus und seine Jünger, ebenso für die Bewohner der Gegend am See Genezareth war dieses nicht koschere Fleisch tabu.

Mithin ist noch der geringste Schaden entstanden, als die Herde sich ins Wasser stürzte - ja, ein gewisser Anti-Besatzungsmacht-Ton ist den Versen des Markusevangeliums anzuhören, einschließlich eines Tadels für Kollaborateure, die mit den Römer-Schweinen Geschäfte machen.

Wenn Fried auch sie bedauert, stimme ich ihm nicht zu. Auch die Liebe kennt ein “Nein!” - hier weniger zum Fleischverzehr als zur Unterlaufung des Boykotts eines Aggressors.

Die Schweinehirten waren es auch, die Jesus baten, die Gegend zu verlassen - so weit ging ihre Liebe zu dem Geheilten denn doch nicht, sich mit ihm über die Befreiung zu freuen, statt ihren  wirtschaftlichen Verlust zu beklagen!

Und wie weiter? Oder noch einmal mit Fried gefragt: Wie ist diese Liebe, die mich allein lässt?

Sie ist so, möchte ich antworten, dass sie dich nur vermeintlich allein lässt: nur dann, wenn du auf dich allein schaust oder nach demjenigen, der dich nicht dorthin mitnehmen kann, wohin er unterwegs ist.
Aber wenn du um dich schaust, wirst du nicht wenige entdecken, denen es haargenau so geht wie dir: Ihr seid nicht allein, ihr seid viele.
WIR sind viele,  sind LEGION- keine Dämonen, sondern Jüngerinnen und Jünger dessen, der geheilt, geliebt und gelitten hat, der gestorben ist und auferweckt wurde, der uns nicht allein gelassen, sondern uns den Geist gesandt hat, der beim Vater ist und für uns eintritt.

Amen.

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