Das war (mein) Kirchentag

Das war (mein) Kirchentag

Das war (mein) Kirchentag

# Theologie

Das war (mein) Kirchentag

Hannover hat sich gemausert. Früher schreckten der viele Beton, die autogerechten Straßen und Plätze, mich ab. Heute freue ich mich über die gute Infrastruktur einer bemerkenswert grünen Stadt, in der man viel Kunst sieht und dessen Messegelände jenes Berlins in einen tiefen Schatten stellt.

Man brauchte nicht Stunden vorher einzutreffen, um am Opernplatz ein Schattenplätzchen beim Eröffnungsgottesdienst zu ergattern. Die Stimmung war eher gelöst als euphorisch, Highlights  habe ich nicht erlebt; aber das muss auch nicht jedes Mal sein. In der Predigt wurden besonders jene ermutigt, die es schon Überwindung kostet, morgens aufzustehen. Ist das jetzt der Maßstab? Sind wir alle depressiv und schon vom Alltag bald überfordert? Wie sollen und können wir dann mit den multiplen Krisen unserer Zeit umgehen? - Das blieb für mich vage.

Gedränge ohne Ende beim “Abend der Begegnung”, auf dem ich dann nach langem Suchen einen Schulfreund traf, der bei Hannover Pfarrer ist und an seinem Kirchenkreis-Stand Dienst hatte.
Meine Frau und ich hatten uns ein Zimmer nahe der Messe genommen, aber ganz so schlau war das doch nicht; denn ohne Frühstück mussten wir losziehen und hatten Mühe, auf dem Gelände etwas zu finden, um nicht mit leerem Magen zur Bibelarbeit gehen zu müssen.  

In meinem Fall war das ein Dialog zwischen dem Linken Bodo Ramelow (der beinahe pastoral wirkte) und Nina Brunetto, einer Grünen, die sich vor noch nicht langer Zeit hat taufen lassen. Es ging um die syrophönizische Frau und deren Bitte an Jesus, ihr Kind zu heilen. Ramelow bekannte sich zu Hund und Kind, beanstandete aber, dass die Mehrwertsteuer für Kindernahrung höher ist als jene für Tierfutter - doch das war nur ein kleiner Joke zu Beginn. Man näherte sich der schwierigen Unterscheidung zwischen den Dazugehörigen (“Kind”) und denen draußen (”Hunde”) unter gelindem Protest an. Ich hätte gern noch mehr darüber gehört, wie anders es sich anfühlt, als vormals Außenstehende jetzt dazu zu gehören; aber eine Stunde Plauderei mit Musikpausen geht schnell vorbei.

In einer der Nachbarhallen wurde dann über “Ostdeutsch - Westdeutsch: Mehr als ein Lebensgefühl?” verhandelt. Auf dem Podium nur Leute mit Ost-Vergangenheit. Naja. Ein Nachgeborener aus Zwickau bekannte, die ostdeutsche Herkunft würde eigentlich immer erst dann zum Thema, wenn man sich außerhalb der (ostedeutschen) heimischen Blase befindet. Dass es in der Vergangenheit politische Fehler und zu Beginn der 90er Jahre eine Art Raubrittertum gegeben hat, darüber musste man nicht viele Worte verlieren. Aber was hilft nun, die zunehmende Entfremdung zu überwinden? - Ganz schlicht: Einander begegnen, einander zuhören, neugierig und offen sein.

Ein Mitmachforum zu 9x9 Bibeltexten hat mich ein wenig enttäuscht. Aber das lag womöglich daran, dass ich nicht der Zielgruppe angehöre. Am Abend fand sich meine Schwägerin neben mir im Saal 2 des Convention Center ein, wo es um die Frage ging: “Woraus wir Kraft schöpfen” - und zwar jüdische Menschen in Deutschland heute. Es war niederschmetternd zu hören, wie sehr sich Jüd:innen im Stich gelassen fühlen von uns, wenn etwa in Berlin militante Palästina-Aktivist:innen Hassparolen grölen und in der Öffentlichkeit zum Mord an Israelis aufrufen!

Der Hannoveraner Bürgermeister Onay nennt sich selbst ein Kind von “Gastarbeitern” und war die ideale Besetzung einer Dialogbibelarbeit, bei der es um “der Stadt Bestes” geht (Jer 29). Ich hätte mir zwar gewünscht, mehr auch über Probleme zu hören, die es beim Überschreiten von Barrieren gegeben hat und gibt, doch zeigte Onay wunderbar, wie es gelingen kann, in der Fremde anzukommen und heimisch zu werden - wenn man denn gelassen wird.

Die Halle, in der verhandelt wurde, wem man heute noch glauben könne, war erwartungsgemäß bald voll und übervoll. Ersatzweise nahm ich an der Podiumsdiskussion “Deutsche Zerrissenheit” teil, bei der zwei Politiker, ein Militärbischof und ein Militärhistoriker sich über Krieg und Frieden mit und ohne Waffen unterhielten. Eine Resolution gegen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden wurde vorgestellt, und ich fühlte mich an meine erste Kirchentagsteilnahme (1983) erinnert, bei der es hieß: “Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen!” Im Jahr 2025 fand die Resolution (knapp) keine Mehrheit.

Am Nachmittag taten wir etwas fürs Zwerchfell: Das Kabarettensemble “Störfall” aus Hannover zog zünftig vom Leder. Rechtzeitig nach Waterloo (U-Bahnstation) gekommen, konnten wir diesmal am Feierabendmahl (deutsch-ungarisch) der Reformierten Gemeinde teilnehmen, bei der es eine atypisch schlichte Predigt über einen Text aus den Sprüchen Salomos gab.

Den Freitagabend krönte das Konzert des Bundesjazzorchesters, auf das mich mein Sohn aufmerksam gemacht hatte und bei dem wir ihn und meine Schwiegertochter tatsächlich auch trafen. Zur Aufführung kamen (unter der Überschrift “Irgendwo auf der Welt”) Kompositionen von Musikern, die von den Nazis verboten und verfolgt worden waren; arrangiert von zeitgenössischen Kollegen.

Am Sonnabend früh bin ich in die Innenstadt geeilt und habe doch die kabarettistische Bibelarbeit ebenso verpasst wie den Dialog zwischen der Ratspräsidentin der EKD, Kirsten Fehrs, und dem Journalisten Heribert Prantl. Auch so ist Kirchentag! Nun, dann eben rechtzeitig angestellt für das “Erste Babenhäuser Pfarrerkabarett”, welches das Publikum ebenso zum Lachen wie zum Nachdenken brachte mit den 3 Kernforderungen, um Deutschland (und die Kirche) wieder nach vorn zu bringen: 1. “Deppen”bremse! 2. Weihnachtsgeld nur für Mitglieder der Kirche! 3. Frauen an die Macht!

Mittags habe ich (“Jesus, der Hund muss raus!”) einem jungen Kollegen aus Hamburg gelauscht, der Jesus und Martin Luther als virtuelle Mitbewohner in seinem Pfarrhaus erlebt und beschreibt - total überspitzt, aber wenn man Humor hat, durchaus unterhaltsam und anregend.

Wieder ein Ortswechsel: Die “Lankwitz Horns” waren sehr gut in Form und haben mir einen schönen Vorgeschmack auf ihre Mitwirkung beim Ehrenamtsgottesdienst am 25. Mai vermittelt.

Und das war’s diesmal: Keine weitere Veranstaltung am Sonnabend, statt dessen ein wenig Zeit zum Austausch mit dem Freund und Kollegen aus Langenhagen. Auch auf den Abschlussgottesdienst haben wir verzichtet - mit dem kleinen Köfferchen an der Hand hätten wir uns dort fehl am Platze gefühlt, aber die Gepäckaufbewahrung kostet einen viel Zeit, die wir benötigten, um mit etlichen Umstiegen per Deutschlandticket wieder heimzufahren.

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